Ärzte müssen Bewertungen auf entsprechenden Portalen (z. B. jameda) grundsätzlich dulden, da das rechtlich anerkennenswerte Interesse der Öffentlichkeit an Informationen über ärztliche Leistungen vor dem Hintergrund der freien Arztwahl im Rahmen einer Interessenabwägung erheblich ist. Den Gefahren des Missbrauchs ist der betroffene Arzt aber nicht etwa schutzlos ausgeliefert: Denn dieser kann die Löschung unwahrer Tatsachenbehauptungen sowie beleidigender oder sonst unzulässiger Bewertungen verlangen (siehe BGH Urt. v. 23.09.2014 – VI ZR 358/13 und unser diesbezüglicher Beitrag). Problematisch ist dabei in der Praxis, dass der betroffene Arzt häufig zwar erfolgreich unwahre Tatsachenbehauptung löschen lassen kann, allerdings in nur bestimmten Fällen (auch) die Benotung als solche, da diese vom Recht der freien Meinungsäußerung in besonderem Maße geschützt ist.
In einer interessanten Entscheidung des OLG München (Beschluss v. 17.10.2014 – Az.: 18 W 1933/14) hat der Senat im Zuge der Klärung einer Kostentragungspflicht in einem einstweiligen Verfügungsverfahrens die Grenzen im Hinblick auf eine zulässige „Benotung“ deutlicher gezogen.
Zum Hintergrund:
Der im entschiedenen Fall betroffene Arzt hat als Verfügungskläger Unterlassungsansprüche wegen bewertenden Äußerungen eines Dritten auf dem von der Verfügungsbeklagten betriebenen Ärztebewertungsportal geltend gemacht.
Neben verschiedenen negativen Verhaltensschilderungen zu der Behandlung in einem Untersuchungstermin beantrage der Arzt, es der Verfügungsbeklagte zu untersagen, eine Benotung in den Kategorien „Behandlung“, „Vertrauensverhältnis“ und „Betreuung“ mit der Note 6 und den Kategorien „Aufklärung“ und „Genommene Zeit“ mit der Note 5 zu veröffentlichen bzw. zu verbreiten.
Nach Zustellung des Verfügungsantrags und sodann im Termin unterwarf sich die Verfügungsbeklagte, und die Parteien stritten nach übereinstimmenden Erledigungserklärungen im Weiteren nur noch um die Kostentragung: Nachdem mit Beschluss des Landgerichts nach § 91 a ZPO die Kosten des Rechtsstreits gegeneinander aufgehoben wurden, legte der Arzt sofortige Beschwerde ein mit dem Antrag, die Kosten des Rechtsstreits der Verfügungsbeklagten aufzuerlegen. Nachdem das Landgericht der Beschwerde nicht abgeholfen hatte, war das OLG zur Entscheidung der Kostenbeschwerde berufen – und dabei kam es unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen darauf an, ob bis zum Eintritt des erledigenden Ereignisses die Verfügungsanträge zulässig und begründet gewesen waren. Vor diesem Hintergrund hatte die Beschwerde des Arztes Erfolg.
Zu den Gründen:
Zunächst einmal seien die Sachverhaltsschilderungen des Patienten (teils unstreitig) als unwahre Tatsachenbehauptung zu qualifizieren, die den Verfügungskläger rechtswidrig in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzen, und deren Unterlassung dieser deshalb nach § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB analog, § 823 Abs. 1 BGB, Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG verlangen kann. Der erkennende Senat sah aber auch einen Anspruch auf Unterlassung der auf die dargestellten Behauptungen gestützten Bewertungen mit Noten für ursprünglich begründet an:
Zwar handele es sich dabei zweifelsfrei um reine Meinungsäußerungen, die in besonderem Maß den Schutz des Art. 5 Abs. 1 GG genießen. Aber auch für diese gelte die Meinungsäußerungsfreiheit nicht unbeschränkt. Vielmehr ist eine Abwägung der grundrechtlich geschützten Positionen der Parteien im Einzelfall geboten.
Dabei käme es nicht darauf an, ob die Kritik berechtigt oder das Werturteil „richtig“ ist, denn der Kritiker darf seine Meinung grundsätzlich auch dann äußern, wenn andere sie für „falsch“ oder für „ungerecht“ halten (u. a. unter Hinweis auf BGH NJW 2000, 3421). Gleichwohl sei im vorliegenden Fall die Meinungsäußerung rechtswidrig, da für die getroffene Bewertung des Verfügungsklägers keinerlei tatsächliche Anknüpfungspunkte bestehen würden.
Denn erkennbare Grundlage für die Benotung des Arztes auf der Internet-Seite der Verfügungsbeklagten seien die aufgestellten Tatsachenbehauptungen, der Besuch des kommentierenden Patienten beim Verfügungskläger sei so abgelaufen wie geschildert. Diese Behauptungen waren nun aber unwahr. Nach der Auffassung des Senats kann bei einer Sachverhaltskonstellation, bei der ein Werturteil eine zugrunde liegende tatsächliche Feststellung von eigenständiger Bedeutung derart widerspiegelt, dass beide zusammen „stehen und fallen“, nicht nur Unterlassung der unwahren Tatsachenbehauptung, sondern auch der auf dieser beruhenden Werturteile verlangt werden. Andernfalls ergäbe sich die merkwürdige Konsequenz, „dass der im Rahmen eines Bewertungsportals von einer unwahren Tatsachenbehauptung Betroffene zwar die Behauptung als solche angreifen könnte, aber nicht die eine unwahre Tatsachenbehauptung widerspiegelnde und wiederholende Bewertung“ (unter Hinweis auf OLG München, Urt. v. 9.9.2014 – 18 U 516/14 – und vom 5.2.2013 – 18 U 3915/12).
Der erkennende Senat wies ausdrücklich darauf hin, dass der vorliegende Fall sich daher auch von dem Sachverhalt der sog. „Spick-mich“-Entscheidung des BGH (Urteil vom 23.6.2009 – VI ZR 196/08) dahingehend unterscheide, dass von den Nutzern der dortigen Internetseite nur Wertungen und keine Tatsachenbehauptungen eingestellt wurden.
Die Bewertung des Arztes war im vorliegenden Fall nicht nur geeignet, ihn in der Öffentlichkeit herabzusetzen, sondern auch seine berufliche Wettbewerbsfähigkeit und damit letztlich seine finanzielle Existenz erheblich zu gefährden; daher schlug die gebotene Interessenabwägung zugunsten des betroffenen Arztes aus.
Da nun die Wahrheit der in der Bewertung des Patienten enthaltenen Tatsachenbehauptungen ersichtlich nicht nachgewiesen war, und die Verfügungsbeklagte trotz des ausdrücklichen Hinweises des Verfügungsklägers diese gleichwohl nicht löschte, konnte nach den von der höchstrichterlichen Rechtsprechung aufgestellten Kriterien die Verfügungsbeklagte für die das Persönlichkeitsrecht verletzenden Äußerungen auf der von ihr betriebenen Seite unter dem Gesichtspunkt der Störerhaftung kostenpflichtig in Anspruch genommen werden.