Die Diskussion um die Berechtigung der von unglückseligen Kollegen angestoßenen Massenabmahnung von Nutzern, die sich angeblich mit Porno-Streams etwas rechtswidrig Gutes tun wollten, hat im Nebeneffekt den medialen Fokus auf etwas gelenkt, was längst ein weiteres Augenmerk als den von Fachkreisen verdient hätte – obgleich eine nach Internetmaßstäben „uralte“ Angelegenheit: den Stream.
Nachdem das Filesharing und damit eine klassische Down- bzw. Upload-Problematik absehbar kein tauglicher Gegenstand mehr für fragwürdige Massenabmahnungen mehr sein kann, bereiten die aktuell vergeblichen Bemühung der werten Kollegen Massenabmahner insoweit immerhin das Feld, die Vorzüge – und Gefahren – dieser Technologie zukünftig besser verstehen zu können. Schon „fordern Opposition und Juristen klarere Regelungen“; aber ganz so unklar ist die Sache freilich nicht. Der (gleichwohl untaugliche) Versuch, eine lukrative Abmahnwelle zu initiieren, muss dennoch nicht zu ungläubigem Augenreiben führen; er war eine bloße Frage der Zeit.
Denn das Streaming audio-visueller Inhalte (Streaming Media) bietet hierfür einen starken Anreiz; aufgrund der bekannten Vorzüge gegenüber dem Download hält es längst den Siegeszug. Dies schon deswegen, da die geräte- und damit letztlich formatunabhängige Übertragung von derlei Daten eine ganz wesentliche Anforderung des „Social Commerce“ ist – und zukünftig im größeren Umfang noch sein wird. Ganz anders als beim Download muss Streaming Media lediglich im Cache „zwischengespeichert“ und nicht etwa eine lokale Kopie in einem besonderen Format vorgehalten werden: Ob Multi- oder Uni-Cast, es geht hier (in der Regel) nicht um eine dauerhafte Vervielfältigung, sondern um Verwertung im Wege der unmittelbaren Anschauung medialer Inhalte. Natürlich kann man Filmchen bei YouTube lokal speichern, aber warum sollte man das? Es entspricht der derzeitigen technologischen-wirtschaftlichen Logik, Daten in der Wolke zu lassen und lediglich den Zugang über Verwertungsmodelle zu steuern, nicht den „Besitz“ im Form einer digitalen Vervielfältigung. Denn Letzteres ist eben nicht mehr alleiniger Garant einer jederzeitigen Verfügbarkeit, im Gegenteil.
Die Richtung ist längst eindeutig: Der „Streamer“ Netflix setzt sein DVD-Versandmodell digital konsequent fort und hat in den USA durchschlagenden Erfolg; der Markteintritt in Deutschland wird derzeit vorbereitet – lassen wir mal das (seit der Gründerzeitära von Internetradios Ende der neunziger Jahre bestehende) deutsche „GEMA“-Problem beiseite, so werden sich Abo-Geschäftsmodelle bei Zugriff auf den ganzen Content-Katalog gegenüber dem „Erwerb“ einzelner Musik- bzw. Videostücke (Download) durchsetzen; genau genommen haben sie das schon. Auch Apple hat das längst erkannt, selbst im iTunes-Store kann man Filme auch „leihen“ (=vorübergehende Vervielfältigung zur unmittelbaren, d. h. „flüchtigen“ Anschauung) – die Preise werden indes im Zuge von „Abos“ fallen und der alternative „Erwerb“ (= dauerhafte Vervielfältigung zur privaten Nutzung) einzelner Werke wirtschaftlich uninteressant werden. SPON meldet: „Die Telekom schließt ihr Downloadportal und setzt auf den Streaming-Partner Spotify“. Amazon plant neuerdings ein Internetsender und „Apple TV“ scheint (nur) ein gutes „iTV“-Konzept zu fehlen – aber Jobs ist eben immer noch tot.
War früher die (erst körperliche, dann digitale) Vervielfältigung einer Werksleistung die faktisch unabdingbare Voraussetzung und damit rechtlicher Anknüpfungspunkt für die Beeinträchtigung der Verwertungsinteressen des Urhebers, so ist dies heute zusehends überholt: Der rechtliche Fokus wendet sich demgemäß weg von der Frage der problematischen „Vervielfältigungshandlung“ – und der damit einhergehenden potentiellen Gefährdung der Verwertungsinteressen ausschließlich Berechtigter – hin zu der Legitimität der „Quelle“: Bekannter Maßen abzustellen ist hier auf die Urheberrechtsschranken nach §§ 44a, 53 UrhG in Umsetzung der Info-Richtlinie 2001/29/EG. Das Systemgefüge dieser – richtlinienkonform eng auszulegenden – Ausnahmevorschriften scheint allenthalben noch unklar, eine höchstrichterliche Entscheidung steht aus; aber die Grundfesten sind doch hinreichend bestimmt: Zulässig ist (-> Endkunde), was ausschließlich der eigenen, d. h. hier privaten Veranschaulichung im Einzelfall dient; auch ein hierzu „vermittelnder“ Dienst (-> Anbieter), der lediglich hierfür die Voraussetzungen schafft, ist rechtskonform, § 44a Nr. 2 UrhG. Eine beachtliche Ausnahme der Ausnahme besteht im Hinblick auf die Vervielfältigung einer „offensichtlich rechtswidrig hergestellten oder öffentlich zugänglich gemachten Vorlage“, § 53 Abs. 1 UrhG.
Derzeitiger Streitpunkt ist natürlich die „Offensichtlichkeit“, hier hilft weder die Info-Richtlinie als Auslegungshorizont noch der sog. „Zweiten Korb“ aus dem Jahr 2008 weiter. Denn es sind charakteristischer Weise immer die Umstände des Einzelfalls entscheidend; dies schon deswegen, da immer mehr Rechteinhaber sich von „klassischen“ Formen der Verwertung von Werksleistungen im bzw. über das Internet lösen und die Wertschöpfung andernorts betreiben. So stellen z. B. Musiker ihre Werke auch abseits der Vertriebswege großer Labels kostenfrei ins Netz, um so „Reichweite“ für die Konzerttouren zu generieren, oder über „Abo“-Systeme online ihre Fans zur „Unterstützung“ zu bewegen (die Rolle der Verwertungsgesellschaften wie die GEMA dürfte dabei auch in Zukunft weiteren Anlass zur Diskussion geben). Ähnliches scheint für die Pornoindustrie zu gelten, wo häufig im Wege vernetzter „Partnerprogramme“ bzw. Affiliate-Netzwerke zumindest Werksteile wechselseitig frei verfügbar vertrieben werden, um so für Bezahl-Content Anreize bzw. für die Werbeindustrie eine relevante Reichweite ihrer Webseiten zu generieren.
Es obliegt in jedem Fall der tatrichterlichen Würdigung, ob das Merkmal der „nicht offensichtlichen Rechtswidrigkeit“ vorliegt oder nicht. Bestehen jedenfalls objektiv begründbare Unklarheiten, ob die Quelle ihrerseits als wirklich rechtswidrig erkennbar ist, so läge deren Nutzung im vorbeschrieben „privaten“ Sinne nach der ratio legis innerhalb der vom Gesetzgeber intendierten Schranken des Urheberrechtes. Passivlegitimierte Adressaten von Abmahnungen sind dann gegebenenfalls die „Vermittler“ (siehe § 44a UrhG) und nicht die Nutzer.
Mag es zwischenzeitlich im Hinblick auf einen 3. Korb zur Umsetzung bzw. sinnvollen Ergänzung der Info-Richtlinie einen Optimierungsbedarf geben, so sollten Rufe nach dem nationalen Gesetzgeber gleichwohl sorgsam überlegt werden: Unbestimmte Rechtsbegriffe sind manchmal ein handwerklich notwendiges Übel, um der Vielfalt der Lebenssachverhalte regulatorisch noch gerecht werden zu können. Es obliegt der eben hierzu berufenen Rechtsprechung, eine entsprechende Kasuistik auszuarbeiten, die sachgerechte und richtlinienkonforme Leitlinien setzt – mit dieser ist nunmehr zu rechnen. Diese Leitlinien müssen zwangsläufig flexibel sein, da eben der Markt, der reguliert werden soll, seinerseits ein wandelbarer ist.