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Bereits in der Vergangenheit hatte der EuGH festgestellt, dass die EU-Mitgliedsstaaten die Arbeitgeber dazu verpflichten müssen, die Arbeitszeit ihrer Arbeitnehmer „systematisch“ zu erfassen (EuGH Urt. v. 14.05.2019 – C-55/18). Nach deutschem Recht bestanden gleichwohl weiterhin nur Auszeichnungspflichten für Überstunden unter den in § 16 ArbZG genannten Voraussetzungen sowie nach § 17 MiLoG. Es war im Nachgang zu diesem Urteil des EuGH in Fachkreisen aber bereits umstritten, ob diese beschränkte Aufzeichnungspflicht noch europarechtskonform ist.

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat diese Frage nunmehr geklärt:

In einem vielbeachteten Beschluss vom 13.09.2022 (1 ABR 21/22, BAG-Pressemitteilung 35/22) hat es festgestellt, dass Arbeitgeber bereits jetzt gesetzlich verpflichtet sind, die Arbeitszeiten der Arbeitnehmer insgesamt und uneingeschränkt zu erfassen. Zwar gäbe es insoweit kein “Initiativrecht“ des Betriebsrats, d. h. der Betriebsrat kann nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG nicht auch die Einführung einer diesbezüglichen technischen Kontrolleinrichtung verlangen (worum es in dem zitierten Verfahren eigentlich ging und zuvor von Obergerichten unterschiedlich bewertet wurde). Das muss der Betriebsrat allerdings auch gar nicht: Denn begründet hat das BAG diese Auffassung damit, dass „der Betriebsrat nach § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG in sozialen Angelegenheiten nur mitzubestimmen hat, soweit eine gesetzliche oder tarifliche Regelung nicht besteht“. Der Arbeitgeber sei aber bei unionsrechtskonformer Auslegung von § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG bereits jetzt gesetzlich verpflichtet, die Arbeitszeiten der Arbeitnehmer zu erfassen.

Das BAG hat also deutlich gemacht, dass das eingangs zitierte Urteil des EuGH nicht erst noch durch den Gesetzgeber umgesetzt werden müsse, um Wirkung zu entfalten. Die bestehende Vorschrift nach § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG muss vielmehr europarechtskonform dahingehend ausgelegt werden, dass die systematische Arbeitszeiterfassung im Rahmen des obligatorischen Arbeitsschutzes ein erforderliches Mittel darstellt, um die Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten bei der Arbeit zu gewährleisten.

In der Folge besteht nun Gewissheit darüber, dass Arbeitgeber (falls noch nicht geschehen) eine geeignete systematische Arbeitszeiterfassungen im Betrieb unverzüglich einführen müssen. Da der EuGH die Anforderungen an ein solches System nicht weiter konkretisiert hat, dürfte nun der deutsche Gesetzgeber unter erheblichen Zugszwang stehen, um weitere Rechtsunsicherheiten zu vermeiden. Mit einer baldigen Kodifikation der richterlichen Vorgaben ist daher zu rechnen.

In mitbestimmen Betrieben dürfte zu beachten sein, dass eine technische Kontrolleinrichtung im Sinne der täglichen Aufzeichnung der Arbeitszeit das Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG tangiert, wenn die maschinelle Arbeitszeiterfassung (auch) dazu bestimmt ist, das Verhalten oder die Leistung der Arbeitnehmer zu überwachen. Nicht für die Frage, ob eine Arbeitszeiterfassung eingerichtet wird, wohl aber für das „wie“, d. h. für die Ausgestaltung und die Form der Zeiterfassung, besteht dann ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats.

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