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In einem Beschluss vom 11.04.2013 (I ZR 91/11) hat der BGH dem EuGH Fragen zur Auslegung von Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft zur Vorabentscheidung vorgelegt. Hintergrund sind u. a. Unklarheiten dahingehend, ob das Verbreitungsrecht nach Art. 4 Abs. 1 das Recht umfasst, das Original oder Vervielfältigungsstücke des Werkes der Öffentlichkeit zum Erwerb anzubieten und wenn ja, ob dieses Recht nicht nur Vertragsangebote, sondern auch Werbemaßnahmen umfasst.

Zum Sachverhalt:

Die klagende italienische Aktiengesellschaft gehört zur Knoll-Gruppe, die hochwertige Möbel herstellt und weltweit verkauft. Muttergesellschaft der Knoll-Gruppe ist die in den USA ansässige Knoll, Inc. Die Beklagte zu 1), eine GmbH nach italienischem Recht, vertreibt europaweit Designmöbel im Direktvertrieb. Der Beklagte zu 2) ist ihr Geschäftsführer. Sowohl die Klägerin als auch die Beklagte zu 1) vertreiben Möbel nach Entwürfen von Marcel Breuer (Sessel „Wassily“, Tisch „Laccio“) und Ludwig Mies van der Rohe (Sessel, Hocker, Liege und Tisch „Barcelona“, Stühle „Brno“ und „Prag“ sowie einen „Freischwinger“-Sessel). Die Beklagte zu 1) wirbt auf ihrer – auch in deutscher Sprache abrufbaren – Internetseite „www.dimensione-bauhaus.com“ für den Kauf ihrer Möbel. Daneben warb die Beklagte zu 1) für ihre Angebote in den Jahren 2005 und 2006 regelmäßig in Deutschland in verschiedenen Tageszeitungen und Zeitschriften sowie einem Werbeprospekt mit dem Hinweis: „Sie erwerben Ihre Möbel bereits in Italien, bezahlen aber erst bei Abholung oder Anlieferung durch eine inkassoberechtigte Spedition (wird auf Wunsch von uns vermittelt).“ Die Klägerin macht – soweit noch von Bedeutung – in erster Linie urheberrechtliche Ansprüche und hilfsweise wettbewerbsrechtliche Ansprüche geltend. Die in Rede stehenden Möbel seien als Werke der angewandten Kunst urheberrechtlich geschützt. Sie sei Inhaberin der ausschließlichen urheberrechtlichen Nutzungsrechte an den von Marcel Breuer entworfenen Möbeln. Die Knoll, Inc. sei Inhaberin der ausschließlichen Nutzungsrechte an den von Mies van der Rohe entworfenen Möbeln und habe sie zur Geltendmachung urheberrechtlicher Ansprüche ermächtigt. Die Beklagte zu 1) verletze mit ihrer in Deutschland veröffentlichten Werbung ihr Recht und das ihrer Muttergesellschaft aus § 17 Abs. 1 Fall 2 UrhG, das Original oder Vervielfältigungsstücke des Werkes der Öffentlichkeit anzubieten. Die Klägerin beantragte gestützt auf urheberrechtliche Ansprüche, den Beklagten zu verbieten, nicht von der Klägerin oder der Knoll, lnc. stammende Möbel in Deutschland anzubieten, die den im Klageantrag abgebildeten und von Marcel Breuer (Sessel „Wassily“, Tisch „Laccio“) und Ludwig Mies van der Rohe (Sessel, Hocker, Liege und Tisch „Barcelona“, Stühle „Brno“ und „Prag“ sowie „Freischwinger“-Sessel) entworfenen Möbeln entsprechen. Ferner nahm sie die Beklagten auf Auskunftserteilung in Anspruch und beantragte Feststellung ihrer Schadensersatzpflicht.

LG und OLG gaben der Klage statt. Mit der Revision verfolgen die Beklagten ihren Antrag auf Abweisung der Klage weiter. Der BGH hat das Verfahren ausgesetzt und dem EuGH Fragen zur Vorabentscheidung – insbes. zur Auslegung des Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft – vorgelegt. Die Gründe: 
Nach Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG sehen die Mitgliedstaaten vor, dass den Urhebern in Bezug auf das Original ihrer Werke oder auf Vervielfältigungsstücke davon das ausschließliche Recht zusteht, die Verbreitung an die Öffentlichkeit in beliebiger Form durch Verkauf oder auf sonstige Weise zu erlauben oder zu verbieten.

Der Streitfall wirft drei Fragen zur Auslegung dieser Vorschrift auf: Zunächst stellt sich die Frage, ob das Verbreitungsrecht nach Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG das Recht umfasst, das Original oder Vervielfältigungsstücke des Werkes der Öffentlichkeit zum Erwerb anzubieten. Falls diese Frage zu bejahen ist, stellen sich zwei weitere Fragen, und zwar zum einen die Frage, ob das Recht, das Original oder Vervielfältigungsstücke des Werkes der Öffentlichkeit zum Erwerb anzubieten, nicht nur Vertragsangebote, sondern auch Werbemaßnahmen erfasst, und zum anderen die Frage, ob das Verbreitungsrecht auch dann verletzt ist, wenn es aufgrund des Angebots nicht zu einem Erwerb des Originals oder von Vervielfältigungsstücken des Werkes kommt. Diese Fragen erscheinen auch unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des EuGH nicht hinreichend geklärt.

Um die Ziele der Richtlinie – Gewährleistung eines hohen Schutzniveaus und einer angemessenen Vergütung – zu erreichen, dürfte es nach Auffassung des BGH jedenfalls unerlässlich sein, den in Art. 4 Abs. 1 enthaltenen umfassenden Begriff der Verbreitung an die Öffentlichkeit „in beliebiger Form durch Verkauf oder auf sonstige Weise“ dahin auszulegen, dass er das Anbieten von Vervielfältigungsstücken zum Erwerb umfasst. Diese Ziele der Richtlinie dürften darüber hinaus aber auch eine Auslegung erfordern, wonach der Begriff des Anbietens nicht erst Vertragsangebote, sondern bereits Werbemaßnahmen erfasst und das Anbieten das Verbreitungsrecht auch dann verletzt, wenn es aufgrund des Angebots nicht zu einem Erwerb des Originals oder von Vervielfältigungsstücken des Werkes kommt. Das Anbieten ist im wirtschaftlichen Sinne zu verstehen und fällt nicht mit dem juristischen Begriff eines Vertragsangebots zusammen. Deshalb stellen bereits Werbemaßnahmen, mit denen zum Erwerb der Vervielfältigungsstücke eines Werks aufgefordert wird, ein vom Verbreitungsrecht i.S.v. Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG erfasstes Angebot an die Öffentlichkeit dar. Ein Verbot des Anbietens kann der bereits im Angebot selbst liegenden Gefährdung der wirtschaftlichen Chancen des Rechtsinhabers entgegenwirken. Deshalb kommt es für das Verbreiten in Form des Anbietens nicht darauf an, ob es aufgrund des Angebots zum Erwerb des Originals oder von Vervielfältigungsstücken des Werkes kommt.

Quelle: BGH online