Wer glaubt, einem Dritten die Nutzung einer bestimmten .eu-Domain untersagen zu können, weil er an der Zeichenfolge der Second Level Domain bessere bzw. ältere Rechte hat, dem steht das sog. EURid-Streitbeilegungsverfahren offen. Dieses Schiedsverfahren („Alternative Dispute Resolution“, kurz: ADR) soll bereits seitens der Vergabestelle “missbräuchliche oder spekulative“ Domainregistrierungen verhindern; wird eine solche im Sinne des Art. 21 der Verordnung (EG) Nr. 874/2004 festgestellt, so ist der Domainname zu widerrufen (d. h. er wird gelöscht). Eine der Besonderheiten des ADR-Verfahrens ist aber, dass unter bestimmten Voraussetzungen – in Form des Nachweises der Antragsberechtigung nach Art. 4 Abs. 2 (b) der Verordnung (EG) Nr. 733/2002 – auch die Übertragung der streitbefangenen Domain beansprucht werden kann.
Letztere Möglichkeit gab nun in einem vielbeachteten neueren Urteil des OLG Stuttgart (2 U 147/13) vom 28.05.2014 offenbar Anlass für interessante Einsichten: Das Landgericht Stuttgart als Vorinstanz (17 O 1069/12) hatte noch im September 2013 zum hörbaren Aufschrei der beteiligten Fachkreise auf eine Domain-Übertragung befunden, nachdem bereits eine ADR-Entscheidung des Tschechischen Streitbeilegungsgerichts auf eine solche Übertragung vorlag.
Zur Erläuterung:
30 Tage nach dem Votum der Schiedskommission wird dieses (d. h. im vorliegenden Fall: die Übertragung der Domain) umgesetzt, ein förmliches „Rechtsmittel“ gibt es dagegen nicht. Aber: Vor Ablauf dieser „Karenzzeit“ hat der (aktuelle) Domaininhaber jederzeit die Möglichkeit, diese Umsetzung (und damit die verbindliche Rechtswirkung) des Schiedsspruchs zu verhindern, indem ein Gerichtsverfahren vor ordentlichen (Zivil-)Gerichten anhängig gemacht und nachgewiesen wird.
So war der Fall hier: Die Schiedsentscheidung hat als solche keine präjudizielle Wirkung für das ordentliche Gerichtsverfahren. Ein Klageverfahren des unterlegenen Domaininhabers kann sich vor dem Hintergrund eines bereits ergangenen ADR-Schiedsspruches im Wege einer berechtigten Feststellung (§ 256 ZPO) darauf richten, dass der ADR-Beschwerdeführer (also in dem Fall: der Beklagte) in Ermangelung eines besseren Marken- oder auch sonstigen Kennzeichenrechtes keinen Anspruch auf Übertragung hat. Die jeweils beklagte Seite wird dagegen in aller Regel Widerklage erheben mit dem Antrag, den Kläger (d. h. den aktuellen Domaininhaber) zu verurteilen, die Domain auf sie zu übertragen (hilfsweise die Löschungserklärung gegenüber EURid abzugeben). Hat indes die Feststellungsklage Erfolg, hemmt der entsprechende Urteilstenor die Vollziehung des anderslautenden Schiedsspruches dauerhaft, es gilt hier der Vorrang der jeweils nationalen Jurisdiktion.
Hatte nun also das Landgericht Stuttgart noch im Sinne des ADR-Schiedsspruches entschieden, so sah das OLG dies anders: Der Kläger muss die Domain nicht auf die Beklagte übertragen – allerdings war dann die Hilfswiderklage erfolgreich, d. h. die Beklagte konnte durchsetzen, dass der Kläger die Einwilligung in der Löschung der Domain gegenüber EURid erteilen musste.
Zu den Gründen:
Der rechtliche Hintergrund ist der, dass zwar die Beklagte die besseren Rechte an dem Zeichen hatte – es aber nach deutschem Recht keinen Anspruch auf Übertragung der Domain (als ein qualitatives „Mehr“ zum bloßen Unterlassen der Nutzung), sondern nur zur Löschung (bzw. Freigabe) gibt (seit BGHZ 149, 191 = GRUR 2002, 622, 626 – shell.de wohl herrschende Meinung).
Entgegen der Rechtsauffassung der Vorinstanz befand das OLG zum einen, dass dies im vorliegenden Fall nicht etwa wegen der vermeintlich fehlenden Möglichkeit eines sog. „DISPUTE“-Eintrages anders zu bewerten sei: Hatte das LG noch die Auffassung vertreten, dass es einen solchen für die .eu-Registrierung gar nicht gäbe, so wies das OLG – völlig zurecht – darauf hin, dass die Weiterübertragung oder die Freigabe der Domain nach Einleitung des Streitbeilegungsverfahrens sehr wohl durch einen sog. „Lock-Status“ ausgeschlossen ist (siehe Sec. 8 (3)(b) der „.eu Domain Name Registration Terms and Conditions“).
Auch ist zum anderen die Entscheidung des Schiedsgerichtes zur Übertragung als solche nicht etwa für die Zivilgerichte bindend (siehe oben). Denn es müssen hier zwei Dinge grundsätzlich unterschieden werden:
1. Wenn die vorstehend angeführte 30tägige Frist ohne Nachweis eines anhängigen Gerichtsverfahrens fruchtlos abläuft, ist das Ergebnis der alternativen Streitbeilegung für die Parteien materiell-rechtlich verbindlich, siehe Art 22 Abs. 13 der Verordnung (EG) Nr. 874/2004. Eine erfolgreiche Klage dagegen ist dann jedenfalls unbegründet, denn diese Bestimmung enthält eine insofern speziell für das ADR-Verfahren geschaffene Regelung, die in ihrem Regelungsumfang als lex specialis dem nationalen Recht vorgeht und insoweit von den nationalen Zivilgerichten als unmittelbar geltendes EU-(Domain)Recht anzuwenden ist (siehe Bücking/Angster, Domainrecht, 2. Aufl., Teil 2 unter Rdn. 69, unter Hinweis auf OLG Düsseldorf, Urt. v. 11.09.2007 – 20 U 21/97).
2. Wenn aber binnen der vorstehend angeführten 30tägigen Frist Klage eingereicht wird, beschränkt sich die gerichtliche Entscheidungskompetenz nicht nur auf eine bloße „Kontrolle“ der Schiedsentscheidung im Sinne des § 1055 ZPO, vielmehr ist der „Wirkungsbereich“ der ADR-Schiedsentscheidung entfallen – d. h. es bleibt bei dem gesetzlichen Regelungsinstrumentarium im (vorliegend) deutschen Anspruchssystem. So lag der Fall hier. Entscheidend war also im vorliegenden Fall bei der „Gretchenfrage“ nach Übertragung oder Löschungseinwilligung, ob die 30-Tages-Frist gewahrt wurde.
Demgemäß ist die OLG-Entscheidung zutreffend – und kein Anlass zum verwunderten Augenreiben. Auch die in Kollegenkreisen nun zu hörenden Abgesänge auf den Sinn des ADR-Verfahrens insgesamt scheinen verfrüht: Es bietet – nicht in allen, aber doch in vielen relevanten Fallkonstellationen – einen effizienten Weg, Rechtsverletzungen unter Einsatz vergleichsweise geringer(er) Geldmittel zu unterbinden, speziell wenn der Domaininhaber im Ausland ansässig ist. Auch die eben nach deutschem Recht wie gezeigt schwer mögliche Übertragung der Domain ist dann zumindest eine zusätzliche Option (so eben nicht deutsche Gerichte hierzu rechtzeitig angerufen werden). Dies ist selbstverständlich in der anwaltlichen Praxis bei der Beratung des Mandanten zu berücksichtigen.
Näheres siehe auch unsere Veröffentlichung zum Domainrecht.